Es war eine Julinacht im Jahr 2017, als der Christ Javed Masih bewusstlos vor dem Haus seiner Familie abgeladen wurde. Sein muslimischer Arbeitgeber, ein wohlhabender Großgrundbesitzer, ließ ihn einfach zurück – wenige Stunden später war Javed tot.
Zwei Jahre zuvor hatte Javed ein kleines Haus gekauft und dafür ein Darlehen bei diesem Mann aufgenommen. Der Preis: Zwangsarbeit. Von 2015 bis 2017 arbeitete er Tag und Nacht – kümmerte sich um die Felder, das Vieh und die Hausarbeiten. Für kleinste Fehler wurde er brutal geschlagen und bedroht: „Du wirst hier sterben.“
Im Juni 2017 forderte Javed nach Ablauf der Vereinbarung seine Freiheit ein. Daraufhin wurde er von seinem Arbeitgeber und dessen Bruder gefesselt und misshandelt. Am 19. Juli musste er ein Unkrautvernichtungsmittel besorgen. Später am Abend brach er zusammen und konnte kaum noch atmen. Statt ihn ins Krankenhaus zu bringen, setzte der Arbeitgeber ihn bewusstlos vor der Haustür seiner Familie ab. Am Morgen starb Javed. Die Obduktion zeigte Vergiftung, doch die Polizei sprach von Selbstmord und verweigerte Ermittlungen. Für die Familie brach eine Welt zusammen. Unterstützung erhielten sie von der Juristin und Menschenrechtsaktivistin Aneeqa Maria und ihrem Team, die das Dorf besuchten und Beweise sammelten. Doch es folgten Monate des Wartens – voller Angst, dass alles im Sande verlaufen würde.
Die Stimme der Stimmlosen
„Familien direkt nach einer Tragödie zu trösten, ist eine der schwersten Aufgaben“, sagt Aneeqa Maria. „Man muss ihnen das Gefühl geben: Ihr seid nicht allein in dieser Dunkelheit.“ Oft sitzt sie einfach bei ihnen, hört zu, betet mit ihnen. „Ein Gebet, während man sich an den Händen hält oder eine kurze Umarmung schenkt den Betroffenen das Gefühl von Zugehörigkeit, Sicherheit, Hoffnung.“
Doch ihr Engagement ist gefährlich. Wer mächtigen Grundbesitzern oder radikalen Gruppen entgegentritt, lebt mit Drohungen. „Ich muss gestehen, manchmal habe ich Angst, dass die am Telefon geäußerten Drohungen eines Tages Wirklichkeit werden“, sagt sie. Aber sie lässt sich nicht entmutigen. Sie fühlt sich von Gott berufen, den bedrängten Christen zur Seite zu stehen. „Mein Engagement entspringt einer tiefen Überzeugung für Gerechtigkeit und Menschenwürde – getragen vom Wort Gottes“, sagt sie. Sie zitiert Jesaja 1,17: „Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!“ Und Sprüche 31, 8: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“
„Mein Engagement entspringt einer tiefen Überzeugung für Gerechtigkeit und Menschenwürde – getragen vom Wort Gottes“.
Der Kampf um Gerechtigkeit
Als Rechtsanwältin hat Aneeqa unzählige Familien begleitet: Mütter, deren Söhne wegen angeblicher Blasphemie im Gefängnis sitzen, Kinder, deren Väter von Lynchmobs getötet wurden. Sie kennt ihre Tränen, ihre Angst und ihren Mut. „Wenn ich einem Mandanten gegenübersitze, der gefoltert wurde, einer Familie, die durch Gewalt vertrieben wurde, oder einer Person, die wegen ihrer Überzeugungen verfolgt wird, und die Angst in ihren Gesichtern sehe, entfacht das ein Feuer in mir. Das ist es, was mich durch lange Nächte bringt, in denen ich Anträge vorbereite, mich in Gesetzestexte vertiefe und unermüdlich in Gerichtssälen kämpfe, die oft gleichgültig oder sogar feindselig wirken können“, sagt Aneeqa Maria.
Ein solcher Fall war der von Haroon Shahzad, der fälschlicherweise wegen Blasphemie angeklagt wurde. Er wurde am 30. Juni 2023 verhaftet, nachdem er auf Facebook Bibelverse veröffentlicht hatte. „Meine Familie musste fliehen, nachdem ich in diese falsche Anschuldigung verwickelt und von der Polizei unter dem Druck des Mobs verhaftet wurde“, sagte er. „Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Kläger, Imran Ladhar, mein Foto in den sozialen Medien weit verbreitet und mich der Blasphemie beschuldigt hat.“
Ladhar, Mitglied einer islamistischen Gruppe, habe den Fall aus Groll erfunden, da Shahzad beim Bau einer Kirche geholfen hatte. Mit Hilfe von Aneeqa Maria gewährte ein Gericht Haroon Shahzad schließlich Haftverschonung gegen Kaution; fünf Monate später wurde er aus dem Gefängnis entlassen. „Sobald Ladhar von meiner Freilassung erfuhr, begannen er und seine Komplizen, Leute im Dorf zu versammeln und sie gegen mich und meine Familie aufzuhetzen“, so Shahzad.
Christen in Pakistan – eine bedrohte Minderheit
Haroon Shahzads Geschichte steht stellvertretend für das Schicksal vieler Christen in Pakistan. Rund vier Millionen von ihnen leben in einem Land mit fast 240 Millionen Einwohnern, in dem der Islam Staatsreligion ist. „Christen leben mit einer doppelten Belastung: dem täglichen Kampf gegen die Armut und einer ständigen, unterschwelligen Angst, wegen ihres Glaubens angegriffen zu werden“, sagt Aneeqa Maria. Immer häufiger werden Christen der Blasphemie beschuldigt. Es genügt ein missgedeuteter Facebook-Post oder die Anschuldigung eines Nachbarn. Auf Blasphemie steht die Todesstrafe – auch wenn sie selten vollstreckt wird. Doch schon der Vorwurf bedeutet oft jahrelange Haft, Bedrohung und soziale Isolation.
Die Blasphemiegesetze werden zunehmend missbraucht, oft als Vorwand für Gewalt gegen Christen. Besonders deutlich zeigte das der Angriff auf die Stadt Jaranwala im August 2023: Radikale Muslime griffen 25 Kirchen und 85 christliche Häuser an, nachdem zwei christliche Brüder fälschlich der Blasphemie beschuldigt worden waren. Hunderte Christen flohen aus ihren Dörfern. Beobachter sprechen von einem der schlimmsten Pogrome gegen Christen in der Geschichte Pakistans. Später sprach ein Gericht die beschuldigten Brüder frei: sie waren unschuldig. Zwei Jahre später wurden zehn Angeklagte wegen Brandstiftung an einer Kirche freigesprochen. Von mehr als 5.200 identifizierten Verdächtigen waren 380 verhaftet worden, die meisten sind inzwischen gegen Kaution frei. Niemand wurde verurteilt. „Wir sind enttäuscht“, sagt Lala Robin Daniel, Vorsitzender der Opferkomitees. „Die Täter wurden freigelassen oder freigesprochen, viele Opfer warten bis heute auf die versprochene Entschädigung.“
Aus Verzweiflung organisierten die Christen von Jaranwala Sitzstreiks, um ihre Not sichtbar zu machen. Nach 17 Tagen Protest kam es erstmals zu Gesprächen mit der Regierung. Zwar wurden Verbesserungen in Aussicht gestellt, Zusagen für konkrete Maßnahmen blieben jedoch vage.
Kämpferin im Glauben
Aneeqa Maria fordert: „Angesichts der Realitäten, mit denen Anwälte, Opfer und Gemeinschaften konfrontiert sind, müssen die Behörden in Pakistan strenge Rechtsreformen auf der Grundlage einer Null-Toleranz-Politik gegenüber außergerichtlichen Tötungen und Gewalt sowie einer Überprüfung und Änderung der Blasphemie-Gesetze durchführen.“
Für sie ist all das Ansporn weiterzumachen. Tag für Tag kämpft sie für Gerechtigkeit – getragen von der Gewissheit, dass Gott ihre Arbeit segnet. „Ich weiß, dass Gott mich und mein Team berufen hat, um für sein Volk einzustehen“, sagt sie. „Wenn meine Geschwister leiden, leide ich als Teil des Leibes Jesu mit ihnen“, sagt Aneeqa Maria. „Aber gerade in diesem Leid zeigt sich Gottes Gegenwart am stärksten.“
Auch im Fall Javed gab Aneeqa nicht auf. Sie tröstete die Mutter, half finanziell, stand ihr als Anwältin zur Seite. Und sie sorgte dafür, dass Javeds Tod nicht ungehört blieb. Monate nach seinem Tod wurde der Bericht veröffentlicht. Die Wahrheit kam ans Licht, der Fall neu aufgerollt. Vor Gericht mussten sich der Arbeitgeber und sein Bruder verantworten. Schließlich kam es zu einem Urteil: Einer der beiden wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, der andere erhielt zehn Jahre Gefängnis.
Bitte beten Sie
mit für die verfolgten Christen in Pakistan, dass Gott ihre Sache zu Gerechtigkeit und Recht führt.